Pflanzliche Urtinkturen sind leider fast in Vergessenheit geraten – wohl besonders des Zeitfaktors und der recht mühsamen Handarbeit wegen. Sie sind fast immer Frischpflanzenpräparate. Obwohl es für die gleichen Anwendungsgebiete auch Tees, Extrakte, Tinkturen oder Spagyriken gibt, kommt das Wesen der Heilpflanze in einer Urtinktur am klarsten zum Ausdruck.
Dieses Wesen zeigt sich vor allem im Geruch und gleichzeitig im Geschmack der Zubereitung. Beides zusammen kann eine Urtinktur von guter Qualität erhalten- in der reinsten Form trotz Verarbeitung. Andere Zubereitungen wie Tees oder Extrakte sind deshalb nicht weniger gut und wichtig. Doch wenn ich mir wünsche, dass das Wesen der Pflanze neben ihrer Wirkstoffe direkt seelisch auf mich Einfluss nimmt, entscheide ich mich für eine Urtinktur.
Was ich mit dem „Wesen“ meine
Das Wesentliche sieht man nur mit dem Herzen gut, es bleibt für das Auge unsichtbar… (sinngemäß aus „der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupery)
Das Wesen wird durch den verborgenen Sinn am ehesten beschrieben. Es ist für die äußeren Sinne nicht wahrnehmbar, denn diese mögen zwar die Gesetze der Materie erkennen aber nicht die des Lebens.
Über und hinter den materiellen Gesetzen stehen höhere Gesetze. Die wesentlichen Lebensgesetze, der verborgene Sinn – das Wesen- will von unseren Herzen erkannt werden, will zu unserer Seele sprechen. Im Laufe des Lebens ist es auch unser Weg, „Bewusstsein“ von den verborgenen Kräften und höheren Gesetzen zu erlangen. Es geschieht, wenn wir uns unserer eigenen Seele und gleichzeitig auch des Wesens von Pflanzen, Tieren oder Dingen bewusst werden.
Es ist unser Weg, mit dem Herzen zu erkennen, dass alle äußeren Erscheinungen von einem inneren Gesetz in Weisheit geleitet werden.
Ein mit Liebe und Sorgfalt zubereitetes Mahl genießen wir nicht nur mit unseren Geschmacksknospen, sondern spüren die Wirkung – das Wesen- auch mit dem Herzen. Es macht uns wohl, es wärmt und beschenkt uns mit einer Welle der Liebe und es tut uns gut.
So ist es auch mit der Urtinktur: wir erhalten über Geruch und Geschmack einen Zugang zum Wesen und das Pflanzenwesen hat einen Zugang zu uns, denn das Herz aller natürlichen Dinge will unser Herz- unsere Seele erreichen. Man könnte es so sehen: die Pflanze sucht die Krankheit oder das Unwohlsein in uns und findet ihre höchste Bestimmung für sich, indem sie uns als Heilmittel dient.
Vom Wesen und der inneren Qualität (nicht nur) der Urtinktur
Qualität bezieht sich auf alle wesentlichen Eigenschaften einer Sache. Doch die innere Qualität ist ein Wert, welcher nicht mit physikalischen oder chemischen Methoden messbar ist. Sie steht in direkter Verbindung zum Wesen, denn durch sie offenbart es sich uns.
Die innere Qualität ist die Ausstrahlung und die „Lebendigkeit“ eines Produkts- seine „innere Beseeltheit“. Bei der Urtinktur ist es die Reinheit von Geruch und Geschmack und dass sie kompetent und mit Liebe per Hand hergestellt wurde.
Je lebendiger die Rohstoffe, desto wichtiger wird die innere Qualität. Fehlt diese innere Qualität zum Beispiel in unseren Nahrungs- und Heilmitteln, führt das zu einer „Verhärtung“ in Körper und Seele und zu einer rein materialistischen Gesinnung.
Die innere Qualität jedoch nährt den Menschen körperlich und seelisch mit Lebens- und Bewusstseinskräften. Sie durchwärmt ihn und befähigt ihn dazu, Schönheit zu erkennen und selbst zu erschaffen.
Wie mache ich mir eine eigene Urtinktur mit innerer Qualität?
Der materielle Unterschied zwischen einer Tinktur und einer Urtinktur ist, dass letztere mit nur der Hälfte an Pflanzenmaterial hergestellt wird und fast immer Frischpflanzen verwertet werden.
Im Grunde läuft die Verarbeitung der jeweiligen Urtinktur folgender Maßen ab:
Zuerst werden die entsprechenden, frisch geernteten Pflanzenteile von Hand geschnitten, dann in einem Mörser gestampft und zerrieben, der Saft herausgepresst und dieser mit Weingeist stabilisiert, bevor er zur Reifung gelagert wird.
Ich habe mich jetzt– passend zur Jahreszeit und meiner gegenwärtigen Lebenssituation- für eine Weißdorn Urtinktur entschieden.
Da ich keinen Weingeist (wie empfohlen wird) habe, verwendete ich hochprozentigen Wodka. Um die Pflanzenteile bei der Verreibung im Mörser vor Oxidation zu schützen, habe ich sie unter Verwendung des Alkohols im Mörser bearbeitet. Meine Urtinktur besteht aus 100g Frischpflanzenmaterial auf 800ml 40% igem Wodka.
Ein langer Waldspaziergang im sonnigen Frühlingswald brachte mich in eine ausgeglichene, liebevolle und offene Stimmung, um die Herstellung der Urtinktur zu beginnen.
Ich stelle mir 100g frische Weißdornblüten und Blätter, 800ml Wodka (mindestens 40%ig) , einen Granitmörser, ein Schneidbrett, ein Bügelglas und ein Keramikmesser zurecht.
Nun nehme ich eine halbe Handvoll Weißdorn und schneide ihn sehr fein. Das Schnittgut gebe ich sogleich in den Mörser und gieße ca. 100ml Wodka dazu, um alle Pflanzenteile zu bedecken. Nun beginne ich vorsichtig und in einem ruhigen Rhythmus zu mörsern. Das Pflanzengut sollte soweit wie möglich aufgebrochen werden und seinen Saft unter Ausschluss von Sauerstoff direkt in den Alkohol geben. Während des Mörserns halte ich mich in meiner inneren, heiter gelassenen und liebevollen Stimmung und gebe dem Mörsern einen ruhigen Rhythmus. Nach ca. 10 min gebe ich alles in das Bügelglas und beginne mit der nächsten Portion. Das setze ich fort, bis alles aufgebraucht ist.
Jetzt wird das Glas noch ordentlich beschriftet und ich stelle meinen Ansatz an einen dunklen, warmen Ort.
Nach ca. 4 Wochen täglichen sanften Schüttelns, werde ich die Pflanzenteile abseihen und die Flüssigkeit in eine Glasflasche füllen. Nun darf sie noch mindestens ein Jahr ruhen, bis sie verwendbar ist. Die beste Reife würde sie wohl nach zwei Jahren erreichen, jedoch ist mein Ansatz mit dem Wodka nicht hochprozentig genug, für eine jahrelange Haltbarkeitsgarantie. Mit Weingeist wäre das kein Problem, doch den bekomme ich hier in der Türkei nicht.
So geht es auch und wirksam wird auch meine Urtinktur sein, davon bin ich überzeugt.
Vom Wesen des Weißdorns (Crataegus)
Oft verlaufen die Entwicklungen in unserem Leben nicht geradlinig und durchkreuzen manches Mal unsere Lebenspläne. Wenn wir diese „Umwege“ oder Stauungen im Leben annehmen und uns der inneren Führung anvertrauen, ist seelisches Wachstum möglich.
Streben wir eher einen ungehinderten, gradlinigen und routinierten Ablauf des Lebensweges an und versuchen mögliche Umwege oder Stauungen zu umgehen, können sich diese nicht gelebten Umstände im Körper als Druck- und Beklemmungsgefühl im Herzen ausdrücken.
Wenn diese „Frühwarnungen“ uns zur „Besinnung“ in der Stille bringen, solche Umwege oder Stauungen des Lebens sogar dankbar annehmen, können sich im Herzen Impulse entwickeln, die uns schlussendlich zu einer höheren Qualität in unserem Leben führen werden.
Weißdorn unterstützt das Annehmen und hilft dabei, die Gefühle wieder fließen zu lassen. Er schenkt Vertrauen und kann somit seelisch bedingte Druck- und Beklemmungsgefühle in der Herzgegend auflösen. Weißdorn kann tröstend Trauer und Hilflosigkeit mildern.
Wobei Weißdorn noch wirksam ist:
- bei nachlassender Leistungsfähigkeit
- leichten Herzrhythmusstörungen
- zur Regulierung des Blutdrucks
- bei Herzinfarkt
- bei Stress
- während einer Infektionskrankheit
- bei Asthma
- während der Wechseljahre
- bei kreislaufbedingter Müdigkeit
Denn Weißdorn stärkt den Herzmuskel, hilft den Rhythmus zu normalisieren und verstärkt die Durchblutung der Herzkranzgefäße.
Fazit:
Die Urtinktur ist die wertvollste Zubereitung einer Heilpflanze, weil sie als pflanzliches Heilmittel vielschichtiger als nur auf körperlicher Ebene wirksam werden kann. Erfreulich ist bei einer guten Urtinktur auch die äußerst geringe Dosierung von weniger als 10 Tropfen pro Einnahme, was nur eine sehr geringe Menge an Alkohol bedeutet.
Wichtig zu wissen:
Urtinkturen werden offiziell mit lateinischem Namen (der jeweiligen Pflanze) geführt und haben am Ende des Namens eine Null mit Querstrich, um sie als solche zu erkennen. Obwohl offiziell nur Urtinkturen von Weißdorn Früchten hergestellt werden, bin ich mir sicher, dass auch eine Urtinktur aus Blättern und Blüten gemacht, ihre Wirkung nicht verfehlen wird. Das bekannteste Unternehmen, welche Urtinkturen in höchster Qualität herstellt und bei der man gut beraten wird, ist die Firma „Ceres“.
Einen Herzwein herstellen
Da ich noch einige Handvoll frische Weißdornblätter und Blüten übrig hatte, auch noch getrocknete Apfelmistel vom letzten Spätherbst und erste frische Melisse aus dem Garten habe ich diese drei Komponenten zu einem Herzwein nach eigener Zusammenstellung angesetzt. Mistel wirkt sehr sanft als Kaltauszug unter anderem bei Herzschwäche, Blutdruckschwankungen und Appetitlosigkeit.
Melisse wird unter Anderem ebenfalls bei Herz- und Kreislaufbelastungen und innerer Unruhe angewendet. Alle drei Kräuter ergeben eine gute Herzweinmischung.
Dazu füllte ich ein 2 Liter Glas mit den klein gezupften Kräutern:
2 Teile Weißdorn, 2 Teile Melisse und 1 Teil Mistel und füllte mit 2 Flaschen trockenem Bio Rotwein auf. Dieser Ansatz wird an einen warmen Ort gestellt. Nach 3 Wochen kann er durchgeseiht werden und der Wein in dunkle Flaschen abgefüllt.
Nun darf man diesen Herzwein in Likörglas Dosierung – besonders vor dem Schlafen – genießen.
Hinweis:
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hallo syvia, interessanter artikel, für mich ist die jahreszeit zu spät, glaube ich, oder geht es auch nit getrockneten kräutern und blüten? beste grüsse aus luxemburg. felix.
Hallo Felix
meines Wissens nach ist der Ansatz von Urtinkturen auch mit schonend getrockneten Kräutern möglich. Freundliche Grüsse, Sylvia